2024 am Rio Negro

Ein Jahr voller Erfolge, Neuerungen und immer heftigerer Klimawandelfolgen

Das El Niño-Jahr 2024 gilt global betrachtet als bisher heißestes Jahr in der Aufzeichnungsgeschichte und brachte auch für die indigene Bevölkerung am Rio Negro gravierende Folgen. Neben einer Zuspitzung der durch den Klimawandel verstärkten Dürreereignisse war das Jahr auch politisch turbulent und brachte der FOIRN einen neuen Vorstand.
Ein intakter Regenwald ist eines der Schlüsselelemente zur Überwindung der Klimakrise.

Erfolg für den RegenwaldschutzRodungen gehen zurück

Die gute Nachricht zuerst: 2024 ging die Rodungsrate im brasilianischen Amazonasgebiet um ganze 30,6% zurück und erreichte damit den niedrigsten Wert seit 2015 – am stärksten betroffen waren laut INPE auch 2024 wieder die Bundesstaaten Mato Grosso und Pará, die für ihre Zerstörung zugunsten des Agrobusiness immer wieder negative Schlagzeilen machen. –  Gleichzeitig kam es trotz des Rückgangs der Entwaldung im September 2024 aufgrund der schweren Dürre zu fast 18-mal so vielen Bränden, wobei die Brandherde im Vergleich zum Vorjahr um 70 % zunahmen (Mongabay). Spannende grafische Darstellungen finden sich dazu auf der Plattform TerraBrasilis des brasilianischen Instituts für Weltraumforschung INPE. 

Besuch im Rathaus mit Bürgermeisterin-Stellvertreterin Judith Schwentner, Thomas Lampesberger und Magdalena Tendl, Referentin für Umwelt, Klimaschutz und Energie, Stadt Graz.

Globalen Austausch fördernDelegationsbesuch im Herbst

Auf Seiten der Partnerschaft war das wohl größte Highlight 2024 der Besuch des neuen Vorstands der FOIRN in Österreich. Vom 21. Oktober bis 10. November 2024 waren Dario Baniwa und Janete Figueredo Alves, als frisch gewählte Präsident:innen der FOIRN sowie Ana Letícia Pastore Trindade, Lieferketten-Expertin vom ISA in Österreich auf Besuch, um über die aktuellsten Entwicklungen am Amazonas zu berichten. 

Neben hochrangigen Treffen mit politischen Vertreter:innen auf Landes- und Gemeindeebene standen auch Vorträge, Regionaltreffen, feierliche Eröffnungen sowie Besuche in Klimabündnis-Schulen und -Betrieben auf dem Programm. Rund 35 verschiedene Termine und Formate wurden in drei intensiven Wochen genutzt, um direkten Austausch und tiefe Einblicke zu fördern. Da der Besuch im Vorfeld der COP29 in Azerbaijan stattfand, waren die vielfältigen Herausforderungen und Lösungsstrategien im Zusammenhang mit der Klimakrise und ihren Folgen für die indigene Bevölkerung am Rio Negro zentrales Thema vieler Diskussionen und die FOIRN berichtete über ihre Pläne, eine eigene Fachabteilung für Klimawandelanpassung einzurichten.

Die Reise wurde mit Mitteln der Österreichischen Entwicklungszusammenarbeit ermöglicht.

AIMAs am Tiquie Fluss arbeiten an einer graphischen Aufzeichnungen des Flusspegel-Verlaufs im Jahr 2024.

Immer gravierendere FolgenKlimawandel am Rio Negro

Die Auswirkungen des El Niño Jahres 2024 waren auch in Amazonien folgenschwer. Zum zweiten Jahr in Folge erlebten der Amazonas und seine Nebenflüsse eine extreme Dürre, die sich vor allem im Hafen von Manaus bemerkbar machte. Dort wurde neuerlich ein 120-jähriger Tiefststand erreicht. Die Rauchschwaden der Rekordbrände im Süden des brasilianischen Amazonasgebiets und des Pantanals zogen hunderte Kilometer in den Norden bis an den Rio Negro, verdunkelten dort den Horizont, führten zu Atemwegserkrankungen bei der lokalen Bevölkerung und schränkten die Ernährungssicherheit ein.

Die Auswirkungen der Dürre waren am Oberen Rio Negro vor allem während der Erntesaison zwischen August und Oktober spürbar. Obwohl es sich traditionell um eine der regenreichsten Regionen Amazoniens handelt, kam es durch die zunehmende Hitze und Trockenheit zu Auswirkungen auf die kleinbäuerliche Landwirtschaft und Fischerei: Das auf den Feldern gepflanzte Wurzelgemüse konnte den hohen Temperaturen nicht standhalten, und sowohl Maniok als auch Wildobstbäume vertrockneten, Ananas-Pflanzen verbrannten und manche Arten verdorrten noch bevor sie überhaupt reifen konnten. Einige Pflanzen trugen trotz Ausreifung der Blüten keine Früchte, andere hingegen produzierten im Übermaß. Halsband-Pekaris und Affen machten sich an den Feldern entlang des Tiquié-Flusses zu schaffen und fraßen die von den Bewohner:innen zur Selbstversorgung angepflanzten Früchte. Auch Sittiche und Papageien fraßen im Übermaß Früchte von den Palmen rund um die Dorfgemeinden und bedrohten damit die Ernährungssouveränität der lokalen Gemeinschaften.

Für den Fischfang hatten die Dürre und das Austrocknen der Flüsse ebenfalls negative Konsequenzen: Viele der Früchte, von denen sich die Fische in den Bächen und Auwäldern ernähren, fiel auf den trockenen Waldboden anstatt ins Wasser, so dass diese Nahrungsquelle für die Fische fehlte und sie letztlich stark abmagerten.

Diese Auswirkungen werden seit 2005 regelmäßig von sogenannten AIMAs, indigenen Umweltbeauftragten, dokumentiert und analysiert. Diese erhalten für ihre Arbeit von Organisationen wie dem Klimabündnis Forschungsstipendien und gelten in den Dorfgemeinschaften auch als wichtige Multiplikator:innen für Umwelt- und Klimawandelbildung. Die Ergebnisse ihrer Forschung publizieren sie halbjährlich in einem Booklet namens Aru: Aru: revista de pesquisa intercultural da bacia do rio Negro – Loja do ISA

2024 startete das ISA eine Videoserie zur Aufklärung über die Auswirkungen des CO2-Handels auf indigene und traditionell lebende Völker

Carbon Marketing und REDD+Negative Auswirkungen des CO2-Handels im Amazonas

Außerdem ergreift die FOIRN als politische Vertretung seit einigen Jahren auch vermehrt auf internationalen Foren das Wort, um dort über die Auswirkungen der Klimakrise auf die Region zu berichten. 2024 reiste Vizepräsidentin Janete Figueredo Alves zur Climate Week nach New York und berichtete dort über die lebensbedrohenden Konsequenzen der Klimakrise für die 24 Völker des Rio Negro Beckens. Eines der zentralen Themen der Verhandlungen waren dort auch die negativen Konsequenzen des CO2-Zertifikat-Handels und von REDD+-Initiativen auf die Bevölkerung.

Die Schweizer Firma South Pole hat in den kolumbianischen Grenzregionen zum Oberen Rio Negro bereits vielfach Verträge mit der lokalen Bevölkerung abgeschlossen, die nun dazu führen, dass diese heute nicht mehr ihrer traditionellen Landwirtschaft nachgehen können, für die sie in regelmäßigen Abständen kleiner Flächen abholzen müssten. Um weiterhin ihre Ernährungssouveränität zu garantieren, legen sie die Felder daher nun auf der brasilianischen Seite an, was in der Vergangenheit zu immer mehr Konflikten geführt hat. Um ähnliche Entwicklungen und den Abschluss von CO2-Zertifikats-Verträgen am Rio Negro zu verhindern, informieren FOIRN und ISA seit 2024 die Dorfgemeinden in Form von Workshops, Podcasts und einer Videoserie.

Neue Ära am Rio Negro: Vorstandswechsel bei der FOIRN

Neuer Vorstand bei der FOIRN

Am 28.06.2024 wählte die FOIRN einen neuen Vorstand. Nach 18 Jahren des Engagements für die indigene Bewegung am Rio Negro – davon 8 Jahre als Präsident der FOIRN – legte Marivelton Barroso sein Amt nieder. Strategische Vernetzung zählte zu seinen größten Stärken und brachte der FOIRN großen Aufschwung trotz Krisenzeiten. 

Seine Nachfolge traten der 38-jährige Lehrer und Sozialanthropologe Dário Casimirio Baniwa und, an seiner Seite, Janete Figueredo Alves als erste Frau im Amt der Vize-Präsidentin, an. Beide blicken auf langjährige Erfahrung in Führungspositionen zurück und waren auch bereits unter Marivelton Barroso Teil des Vorstands.   

Als zentrale Herausforderung sehen die beiden neben einer starken Verbindung zur Basis und Stärkung der traditionellen Kultur vor allem die gezielte Anpassung an die immer extremeren klimatischen Bedingungen in der Region. Die Weitergabe traditionellen Wissens an jüngere Generationen sowie die Ausbildung von Fachpersonal zur Klimawandelanpassung in der Region nennen sie als wichtige Meilensteine innerhalb ihrer Amtsperiode. 

Honiggewinnung dient heute in vielen Regionen Amazoniens als nachhaltige Einkommensmöglichkeit

Serie „Rio Negro Faces“Bioökonomie als Zukunftsphilosophie

Was haben Honiggewinnung, eine regionale Schuljause oder Kunsthandwerk mit Regenwaldschutz zu tun? Diesen Fragen widmeten wir uns in unserer Serie Rio Negro Faces. Darin berichteten wir über neue, nachhaltige Einkommensquellen als wichtige Eckpfeiler, um der lokalen indigene Bevölkerung die Möglichkeit zu bieten, auch im 21. Jahrhundert noch von und im Regenwald leben zu können. Am Rio Negro zählen dazu Traditionelle Landwirtschaft, Keramik und Kunsthandwerk, Ökotourismus und Meliponi-Imkerei. Um dieses traditionelle Wissen zu erhalten, förderte das BMK zwischen 2021 und 2023 den Aufbau zahlreicher ökologischer Initiativen in der Region. Den Abschluss der Serie macht im Februar 2025 ein Bericht über das frauengeführte Kunsthandwerkszentrum Wariró, das durch seine professionelle Vermarktung von Keramik, Flecht- und Korbwaren und anderer Handwerkskunst Amazonienweit als Vorzeigeprojekt gilt und bereits 2014 mit Hilfe der Unterstützung der Klimabündnis-Mitglieder aufgebaut wurde. 

Hier geht’s zu den Berichten der Serie:  

Honiggewinnung für den Artenschutz 

Regionale Schulverpflegung als Einkommensquelle 

Indigene Umweltbeauftragte als Expert:innen für Klimawandel-Monitoring 

 

 

Die beiden indigenen Territorien Jurubaxi Tea und Uneuixi haben seit Ende 2024 ihre eigenen Territorial- und Umweltmanagement-Pläne, kurz PGTAs.

Neue Regionalentwicklungspläne Zwei indigene Territorien am Rio Negro erhalten eigene PGTAs

Seit 2015 unterstützt das Klimabündnis die FOIRN bei der Ausarbeitung so genannter PGTAs – das sind Territorial- und Umweltmanagementpläne, die Ziele für die regionale Entwicklung und Stärkung der indigenen Kultur in den vom brasilianischen Staat anerkannten indigenen Territorien festlegen. Am RIo Negro sind das mittlerweile insgesamt 10 Territorien. 

Die PGTA-Pläne verfolgen das Ziel, den Schutz, die Wiederherstellung, die Erhaltung und die nachhaltige Nutzung der natürlichen Ressourcen in den indigenen Gebieten und Ländern zu gewährleisten und zu fördern, um diese auch für kommende Generationen zu erhalten. Sie sind ein wichtiges Instrument, um die soziokulturelle Autonomie der indigenen Bevölkerung zu stärken. 

Im Rahmen des von 2022-2024 laufenden Dreijahresprojekts konnten für zwei weitere indigene Territorien solche PGTAs veröffentlicht werden: Für die Gebiete Jurubaxi Tea und Uneuixi, die beide am unteren Rio Negro liegen und durch ihre Nähe zu größeren urbanen Zentren vermehrt von illegalen Invasionen betroffen sind. Durch die Anerkennung der Landrechte und die Ausarbeitung der PGTAs liegen nun zwei wichtige Instrumente für den Schutz der Rechte der indigenen Bevölkerung vor, die Handlungsstrategien festlegen, um die Lebensqualität in den Territorien zu verbessern und die traditionelle Bewirtschaftung der Gebiete durch die indigene Bevölkerung auch in Zukunft zu garantieren.